Netflix-Start: Die Zukunft des Fernsehens?

Netflix – die Videostreaming-Offenbarung aus den USA gibt es seit heute auch in Deutschland. Allerdings unterscheidet sich die Auswahl an Filmen und Serien hierzulande vom US-Angebot. Und die Konkurrenz ist in Deutschland stärker. Ein Beitrag von Max Muth.

17,98 Euro gibt jeder deutsche Haushalt im Monat für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus. Dafür bekommt jeder Zuschauer eine mediale Grundversorgung. Dutzende Radioprogramme, Info-Portale im Internet, die Tagesschau-App. Und natürlich das Fernsehen. Große Sportereignisse, opulente Unterhaltungsshows, ordentliche Krimi-Serien – darunter der „Tatort“, den ein Großteil der Deutschen zum UNESCO-Kulturerbe erklären würde. Dennoch reißt die Klage über das Fernsehen nicht ab – und nicht ganz zu Unrecht.

Primetime-Fernsehen in Deutschland kann deprimierend sein

Wer heute um 20.15 Uhr einschaltet, hat die Wahl zwischen einer Dokumentation über den englischen Partyprinzen Harry (ZDF) und einer typischen Krimiserie (ARD). Die privaten Programme bieten Casting- und Reality-Shows zu den Themen Unternehmertum (Vox), Kochen (Kabel 1) und Heimwerken (RTL 2). Auf Sat1 läuft ein mittelmäßiger deutscher Fernsehfilm – natürlich mit Hannes Jaenicke. Primetime-Fernsehen in Deutschland kann deprimierend sein.

Auch deshalb wurde viel geredet über den Deutschland-Start des amerikanischen Video-On-Demand-Riesen „Netflix“. Kunden zahlen bei dem Portal eine Pauschalgebühr von acht bis zwölf Euro, je nachdem wie viele Geräte gleichzeitig benutzt werden sollen. Wer einen Account bei dem Dienst hat, der kann das gesamte Film- und Serienangebot von Netflix nutzen. Jederzeit, von überall in Deutschland – per Streaming. Einzige Voraussetzung ist eine ordentliche Breitband-Verbindung ins Internet. Das kommt vor allem jungen Bewegtbildfreunden entgegen, für die schnelles Internet ohnehin ein Menschenrecht darstellt. Die Fernsehgewohnheiten haben sich mit der Entwicklung des Webs radikal verändert. Bei den Jüngeren schneller als bei den Älteren, aber auch viele ältere Semester wissen inzwischen den Komfort einer immer verfügbaren Online-Videothek zu schätzen.

Auch „House of Cards“ ist dabei

Viel wurde vor dem Deutschland-Start von Netflix spekuliert – vor allem über die Frage, wie umfangreich das Programm sein wird. Streaming-Lizenzen für Filme und Serien werden länderweise verkauft. Das heißt, dass die Mediathek von Netflix theoretisch in den USA prall gefüllt und in Deutschland trotzdem leer sein könnte. Sogar Serien, die Netflix selbst produziert hat, könnten in Deutschland nicht verfügbar sein. Bestes Beispiel ist die Polit-Thriller-Serie „House of Cards“, so etwas wie das Aushängeschild von Netflix. Die exklusiven Streamingrechte für die Serie mit Kevin Spacey wurden vor nicht all zu langer Zeit an den Pay-TV-Konkurrenten Sky verkauft. In Deutschland drohte Netflix deshalb ohne „House of Cards“ zu starten.

Zum Deutschland-Start ist klar: Netflix hat sich die Rechte für die Serie zurückgekauft. Das dürfte eine Stange Geld gekostet haben. Aber Geld spielt bei der Expansion von Netflix keine all zu große Rolle. 50 Millionen Kunden hat Netflix inzwischen weltweit. Geht man davon aus, dass jeder etwa 10 Dollar für sein Abo bezahlt, spült das Netflix monatlich 500 Millionen Dollar in die Kassen, offenbar genug, um Sky die Streamingrechte für „House of Cards“ wieder abzukaufen. Aus Marketing-Sicht ist das vermutlich eine weise Entscheidung. Das Unternehmen will mittelfristig 80 Prozent seines Umsatzes außerhalb der USA machen. Aktuell ist es noch umgekehrt. In den USA ist Netflix mit 40 Millionen Kunden klarer Marktführer beim Internet-Fernsehen. Im gesamten Ausland haben bisher nur 10 Millionen Kunden ein Netflix-Konto.

Stärkere Konkurrenz im Vergleich zu den USA

Aber wie sieht es mit dem Angebot aus? Anders als in den USA, wo sich Netflix relativ ungestört den Markt sichern konnte, gibt es in Deutschland bereits einige Video-On-Demand Konkurrenten: Watchever, Maxdome, Amazon Instant Video und Sky’s Dienst Snap haben schon vorgearbeitet. Dementsprechend ist Netflix‘ Angebot zum Start auch noch nicht mit dem deutschen Marktführer Maxdome vergleichbar. Befürchtungen, die Mediathek könnte zum Start fast leer sein, bestätigen sich aber nicht.

Das größte Angebot bietet Netflix für deutsche Nutzer in der Kategorie US-Serien, darunter die Erfolgsserien „Breaking Bad“, „Dexter“, „The Walking Dead“ und „Heroes“. Natürlich sind auch die Netflix-Eigenproduktionen inklusive „House of Cards“, „Fargo“ und „Orange is the New Black“ dabei. Auch deutsche Serien wie „Stromberg“, die ARD-Serie „Der Tatortreiniger“ und die Krimi-Reihe „Im Angesicht des Verbrechens“ von Dominik Graf sind verfügbar. Der „Tatort“ ist nicht dabei – der Sonntagabend bleibt Hoheitsgebiet der ARD. Auch HBO-Serien wie „Game of Thrones“ oder „The Newsroom“ sucht man vergeblich. Die Exklusivrechte dafür hat sich Pay-TV Konkurrent Sky noch kurz vor dem Netflix-Start bis zum Ende des Jahrzehnts gesichert.

 „Ulkige Komödien“ – Netflix führt neue Genres ein

Netflix sortiert sein Angebot nach den üblichen Genres wie Thriller und Komödie, aber auch nach ungewöhnlicheren Kategorien. So gibt es 27 „ulkige Komödien“ und rund vierzig „Dramen, die auf einer wahren Geschichte beruhen“. Außerdem kann der Nutzer nach einer Verbindung mit Facebook sehen, welche Filme seine Freunde angesehen haben. Ein Erfolgsrezept von Netflix ist die Personalisierung der Kundenaccounts. Nutzer werden aufgefordert, alle gesehenen Filme zu bewerten. Je mehr ein Nutzer gesehen und bewertet hat, desto genauer werden die Empfehlungen, die Netflix seinen Kunden macht. Wer aus dieser selbstgeschaffenen Filterblase wieder heraustreten will, der kann das Netflix-Programm natürlich jederzeit selbst durchstöbern.

Ein Gewinn könnte Netflix für Cineasten werden. Zum Start sind 100 Filme als independent gelabelt, fast 90 internationale Dokumentarfilme sind gelistet. Zudem sind die meisten Angebote sowohl auf Deutsch als auch in der Originalsprache verfügbar. Vergeblich sucht man bisher Film-Klassiker oder aktuelle Film-Highlights. Zumindest letzteres ist aber ein Problem, das alle Streaming-Dienste gemeinsam haben. Auch für Familien könnte Netflix Sinn ergeben: Eltern können ein Profil für ihre kleinen Kinder anlegen. Über dieses können sie ausschließlich Filme und Serien aus dem Kinderprogramm sehen – um auch „Terminator 2“ sehen zu können, müssten die Kinder den vierstelligen PIN der Eltern eingeben.

Fazit: Mehr als erwartet – doch mit Luft nach oben

Fazit: Das Angebot des Streaming Dienstes Netflix ist zum Deutschland-Start üppiger als erwartet, lässt aber in der Breite noch zu wünschen übrig. Besonders Serien-Fans und Cineasten könnten auf ihre Kosten kommen. Für alle, die sich selbst ein Bild von dem Angebot machen möchten: Netflix wirbt zum Start mit einem kostenlosen Probemonat.

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