Dynamic Pricing

Wer bin ich – und wer will das wissen?

Big Data ist ein Trend und eine große Chance für Konzerne. Doch wie sieht es eigentlich mit den Chancen für die Nutzer aus? Oder überwiegen hier die Risiken? Ein Kommentar von Florian Blaschke vom t3n Magazin.

Wer bin ich – und wenn ja wie viele? Mit dieser philosophischen Frage hat Richard David Precht 2007 ordentlich Staub aufgewirbelt. Heute – acht Jahre später – gesellen sich zu Prechts Überlegungen zwei neue Fragen hinzu, vor allem vor dem Hintergrund der technologischen Entwicklung: Wer will eigentlich wissen, wer ich bin? Und vor allem: Wie wollen die das rauskriegen?

Schon im Alltag füllen wir Menschen Dutzende von Rollen aus. Wir sind Partner, Freunde, vielleicht Eltern oder Geschwister, wir sind Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, Freelancer, Kunden, Patienten oder Nachbarn. Und jede dieser Rollen nehmen wir anders wahr, jede Rolle füllen wir anders aus.

Im Netz ist das nicht anders. Auch hier sind wir in verschiedenen Netzwerken und auf verschiedenen Plattformen unterwegs, wir sind Autoren und Kommentatoren, Beobachter, Bewerter, Kunden oder Auftraggeber. Wir geben uns Avatare und Nutzernamen und posten, was in das Licht passt, in dem wir gesehen werden wollen. Wir hinterlassen Spuren. Doch eine Entwicklung verändert noch mal drastisch, was mit unseren digitalen Versionen vom Ich alles passiert: Big Data.

Big Data: Wo laufen die Fäden zusammen und wer fällt aus dem Raster?

Durch die Daten, die wir hinterlassen, beginnen Unternehmen, sich ein ganz eigenes Bild von uns zu machen. Ein Beispiel: Gesundheitsdaten. Was Fitness-Tracker, Ernährungs-Apps oder Programme wie Googles „Fit“ oder „Apple Health“ an Daten sammeln, ergäbe zusammengenommen ein nicht nur hoch spannendes, sondern auch höchst lukratives Paket – nicht zuletzt für die Krankenkassen.

Ein zweites Beispiel: das Thema Shopping. Schon länger testen Konzerne wie Kaiser’s Tengelmann das „Dynamic Pricing“, bei dem Kunden je nach Einkaufskorb individuell auf sie zugeschnittene Preise bekommen. Und das Unternehmen? Bekommt personalisierte Daten. Beispiel drei: People-Analytics – also die Auswertung von Arbeitnehmerdaten für Personalentscheidungen. So sollen Algorithmen heute schon vorhersagen können, welche Mitarbeiter als nächstes kündigen werden, während Startups wie Soma Analytics Mitarbeiter sogar im Schlaf überwachen wollen, um ihr Stresslevel zu analysieren oder Konzerne die Kommunikation ihrer Mitarbeiter auslesen, um herauszufinden, wo die Fäden zusammenlaufen und wer aus dem Raster fällt.

Welchen Stellenwert bekommen bei Big Data noch die Details?

Alle drei Beispiel haben spannende Seiten und Potenzial, die Welt ein Stück besser zu machen. Doch alle drei Beispiele bergen auch Missbrauchspotenzial und Risiken – vor allem, aber nicht nur für den Einzelnen. Das vielleicht größte Problem: die Interpretation der Daten. Welchen Stellenwert bekommen bei Big Data noch die Details? Wie genau lesen Unternehmen noch zwischen den Zeilen, wenn die Datenmengen immer größer werden?

Die zweite große Hürde: die Informationsqualität. Wie steht es beispielsweise bei den vom Arbeitnehmer erhobenen Daten oder den Gesundheitsdaten um die Manipulierbarkeit? Wie um die Vollständigkeit? Weisen die Daten Lücken auf? Und wenn ja: Wie und mit welchen Informationen können diese Lücken gefüllt werden? Habe ich in meinen Apps beispielsweise wirklich alle Gesundheitsdaten erfasst, die relevant sind? Und wie geht mein Arbeitnehmer damit um, dass nicht meine gesamte interne Kommunikation digital abläuft? Wie entscheidet er, welches Gewicht er den Daten beimisst, um über meine Zukunft zu entscheiden? Welche Rolle spielt noch das Bauchgefühl eines Personalers – das ja weiß Gott auch nicht immer richtig liegt?

Nimmt man nur diese drei Probleme – die Interpretationsfrage, die Manipulierbarkeit und mögliche Datenlücken – und hebt den Blick ein wenig, zeigt sich das ganze Dilemma. „Big Data“ heißt nicht umsonst Big Data – meine Daten sind in jedem möglichen Kontext nur ein Bruchteil der Gesamtmenge. Doch wenn schon meine Daten manipulierbar, lückenhaft und vielfältig interpretierbar sind – wie sieht es dann erst mit der Gesamtmenge aus? Wie groß sind die Fehler und Lücken in den Gesundheitsdaten, die Apple bis jetzt schon erhoben hat? Wie sehr kann ein Arbeitgeber sich darauf verlassen, dass die Kommunikation, die er analysiert, auch wirklich solide Rückschlüsse zulässt? Schließlich betreffen die Entscheidung, der er auf Grundlage der Daten fällt, nicht nur mich – sondern auch sein Unternehmen.

Am Anfang wie am Ende der Datenkette steht deshalb nach wie vor: der Mensch. Ob uns das jetzt beruhigt oder uns Angst macht? Das ist eine Frage der Interpretation.