NSA überwacht Erlanger Student: Mit TOR auf die Überwachungsliste

Er will anderen helfen, im Netz anonym zu bleiben – und wird deswegen selbst von der NSA ausspioniert. Kein Politiker, kein Lobbyist, sondern einer von uns: Ein Student aus Erlangen ist nach der Kanzlerin das zweite namentlich bekannte deutsche NSA-Opfer. Ein Beitrag von Max Muth.

Eigentlich kennt er sich aus mit der Abhör-Abwehr im Netz: Sebastian Hahn studiert Informatik in Erlangen. Im Herbst entwickelte er das Sicherheitskonzept für die Tagung seiner Fakultät. Darin ist er Experte und betreibt selbst einen Server im Netzwerk des Internet-Anonymisierers TOR.

TOR steht für „The Onion Router“, also Zwiebel-Router, und das beschreibt eigentlich ganz gut, wie TOR funktioniert. Informationen, die über TOR transportiert werden, befinden sich im Inneren von mehreren Zwiebelschichten. Jede Zwiebelschicht ist dabei ein Server, über den der Internetverkehr geleitet wird. Wenn in Nürnberg jemand den TOR-Browser benutzt, dann kann es sein, dass seine Anfrage zuerst an einen Server in Schweden, dann über Russland nach Südafrika zu seinem Endpunkt geleitet wird. Dort ist nicht mehr nachzuvollziehen, wer das Signal urspünglich geschickt hat.

Sebastian Hahn wollte also anderen helfen, im Netz anonym zu bleiben und hat sich selbst damit auf die Überwachungsliste der NSA gebracht. Denn TOR oder ähnliche Dienste sind für Menschenrechtsaktivisten in Ländern mit autoritären Regimen wie Iran und Syrien unverzichtbar. Sie können Leben retten. Der NSA aber sind sie ein Dorn im Auge. Eine Präsentation aus dem Fundus von US-Whistleblower Edward Snowden befasst sich komplett mit Möglichkeiten, TOR auszuspähen. Überschrieben ist das Paper mit „TOR stinks“.

Um trotzdem an Informationen über TOR-Nutzer zu kommen, überwacht die NSA laut Informationen von NDR und WDR mehrere Server, die TOR-Sympathisanten zur Verfügung stellen. Menschen, denen Privatsphäre und Freiheit wichtig sind. Menschen wie Sebastian Hahn. Die IP-Adresse des von ihm betriebenen Servers taucht im Quell-Code der NSA-Software XKeyscore auf. In dem stehen die Regeln, nach denen das Programm das Internet nach Informationen absucht. Der Server mit dem Namen „gabelmoo“ und der IP-Nummer 212.112.245.170:443 gehört Sebastian Hahn.

„Dass alle Verbindungen, die ich mit einem Server, den ich selber in Deutschland betreibe, von einem ausländischen Geheimdienst mitgeschnitten werden, ist ein Rieseneingriff in meine Privatsphäre“, sagte Sebastian dem ARD Morgenmagazin.

Weitere Interviews will Sebastian jetzt nicht mehr geben, im Internet hat er aber auf die wichtigsten Fragen geantwortet. Dort schreibt er, dass er nicht besonders überrascht ist, dass das TOR-Netzwerk Ziel der NSA-Agenten wurde. Aber dass einfach alle Serverbetreiber überwacht werden, findet er ziemlich dreist. Von den Medien wird Sebastian jetzt als zweites namentlich bekanntes Opfer der NSA nach Angela Merkel bezeichnet. Den Vergleich mit der Bundeskanzlerin findet er nicht sehr gelungen, schließlich wurde nicht sein Handy abgehört. Aber mit welcher Selbstverständlichkeit Geheimdienste Unschuldige in den Fokus nehmen, das schockiere ihn schon.

Weitermachen mit seinem Engagement für das freie Internet will Sebastian trotzdem. Auf die Frage, was er für Konsequenzen aus dem Angriff auf seine Privatsphäre zieht, schreibt er: „Ich fühle mich bestätigt auf meinem Weg. Nur durch aktives Handeln lässt sich unsere Demokratie langfristig verteidigen. Demokratie braucht Privatsphäre und Sicherheit in der Kommunikation.“

Autor dieses Beitrages ist Max Muth. Den Original-Artikel finden Sie bei PULS, dem jungen Programm des Bayerischen Rundfunks.