How to Selbstauskunft: Kampf um meine Daten

Was Daten angeht, geht es PULS-Moderatorin Ariane wie vielen anderen: Sie weiß nicht genau, wer was über sie speichert. Deswegen hat sie drei Monate lang nachgeforscht – mit ernüchterndem Ergebnis. Ein Beitrag von Ariane Alter.

Egal ob ich telefoniere, fliege oder zum Arzt gehe: Überall sammeln Unternehmen Daten über mich. Ganz genau weiß ich aber nicht, wer was über mich speichert. Um das zu ändern, habe ich eine dreimonatige Daten-Expedition gestartet. Dass es einfach werde würde habe nicht erwartet. Aber dass ich mit krassen Falschaussagen konfrontiert und einen grundlos gespeicherten Berg mit intimen Daten über mich finden würde, hat mich doch überrascht.

In der Theorie ist erstmal alles ganz easy. Seit 2009 gibt es im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) das Recht auf Selbstauskunft. Das bedeutet: Jeder von uns darf einmal pro Jahr kostenlos bei Unternehmen nachfragen, welche Daten über einen gespeichert sind und zu welchem Zweck.

Die verantwortliche Stelle hat dem Betroffenen auf Verlangen Auskunft zu erteilen über 1. die zu seiner Person gespeicherten Daten, auch soweit sie sich auf die Herkunft dieser Daten beziehen, 2. den Empfänger oder die Kategorien von Empfängern, an die Daten weitergegeben werden, und 3. den Zweck der Speicherung. (Bundesdatenschutzgesetz, Paragraf 349

Vorlagen für diese so genannte Selbstauskunft nach §34 BDSG gibt es im Internet, Portale wie Selbstauskunft.net bieten sogar den Service, Anfragen gleich an mehrere Unternehmen gleichzeitig zu verschicken. Auch Auskunfteien wie die Schufa, die sonst Geld für Auskünfte verlangen, müssen einmal pro Jahr kostenlos antworten. Wer sicher gehen will, dass die Briefe auch ankommen, schickt das ganze per Einschreiben. Eine beigelegte Ausweiskopie dient als Identitätsnachweis und verhindert, dass sich die Unternehmen gleich am Anfang rausreden können.

Ich habe für meine Recherche bei Air Berlin, meinem Handyprovider Telekom und meiner ehemaligen Krankenversicherung Inter angefragt. Mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Bei keinem der Unternehmen gab es auf Anhieb die gewünschte Auskunft. Ich habe zig Mails geschrieben, sehr viel Zeit in Warteschleifen irgendwelcher Hotlines verbracht und wurde teilweise mit vielen schriftlichen Rückfragen hingehalten. Das Ganze war wirklich ein Kampf über drei Monate. Denn: Für die Unternehmen bedeuten die Anfragen von kritischen Kunden wie mir Mehraufwand. Weil die Zahl solcher Kunden aber sehr gering ist, wird es in Kauf genommen, mich zu vergraulen.

Und das wird sich erst dann ändern, wenn die Zahl der Selbstauskunfts-Anfragen steigt und mehr Leute ihr Recht auf Selbstauskunft einfordern.

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Big Data: Die Klassifizierungsmaschine

Sie möchten alles über die Gewohnheiten von Mobiltelefonbenutzern erfahren? Big Data. Sie möchten bestimmte Zielkunden im Internet ansprechen? Big Data. Sie möchten das Geheimnis der erfolgreichsten Serien auf Netflix lüften oder herausfinden, ob in einem Viertel Schlaglöcher repariert werden müssen? Big Data! Mit dem richtigen Algorithmus und der richtigen Menge an Daten – so versprechen Unternehmen im Bereich der Analyse von Megadaten – können sie Antworten auf alle möglichen Fragen finden. Aber wer stellt diese Fragen? Und kann man sich bei der Entscheidungsfindung auf Algorithmen verlassen?

2015 ist das Jahr von Big Data. Das Konzept der Megadaten gibt es seit nunmehr 40 Jahren. Dem Wirtschaftsmagazin Forbes zufolge halten Big Data-Anwendungen jedoch in diesem Jahr Einzug in die Geschäftswelt und Unternehmensführung. Zahlreiche Unternehmen stellen sich auf Big Data ein und passen ihr Geschäftsmodell entsprechend an, um von neuen Chancen zu profitieren: unseren persönlichen Daten.

Mega-Datenverknüpfung

Statistische Analysen hat es immer gegeben. Anhand von Umfragen oder angekreuzten Feldern in einem Erfassungsformular kann mehr oder weniger genau die Wahrscheinlichkeit für die Wahl eines Kandidaten, die Anzahl der Autounfälle in einem Jahr oder die Art von Mensch bestimmt werden, die voraussichtlich einen Kredit zurückzahlt. Dabei können natürlich Fehler auftreten, aber die Zahlen helfen, gewisse Trends zu erkennen. Und anhand dieser Trends erhofft man sich eine Hilfe bei der Entscheidungsfindung.

Heute erzeugen wir diese Daten zu Quintillionen: Daten von Kreditinstitutionen, Cookie-Daten über das Navigationsverhalten von Usern (Episode 2), Informationen von Mobiltelefonen (Episode 04), 50 Millionen Fotos, 40 Millionen Tweets und Milliarden von täglich verschickten Dokumenten – ganz zu schweigen von den Daten, die durch Sportarmbänder, Gadgets und intelligente Geräte jeder Art erzeugt werden. Wie könnte man das anders nennen als Big Data?

Die wahre Revolution von Big Data besteht jedoch nicht so sehr im Umfang, sondern vielmehr in der Art und Weise, wie diese Daten heute miteinander verknüpft werden können. Abgesehen von den Dingen, die sie (oftmals gegen unseren Willen) über uns aussagen, sind es die zahlreichen Korrelationen und Verknüpfungen, die eine Vorhersage der Gewohnheiten und Benutzerverhalten ermöglichen. Sie wollen Ihre Meinung online mitteilen? Eigentlich interessiert das niemanden. . Aber zu wissen, welche Worte Sie mit wem über welches soziale Netzwerk und um welche Uhrzeit austauschen, das ist von Interesse und zahlt sich aus.

Kategorisieren, um die Dinge besser zu lenken

Um in diesem Daten-Dschungel den Durchblick zu behalten wird die Bevölkerung mit Hilfe von Algorithmen kategorisiert. So lässt sich z. B. lediglich anhand einer Postleitzahl das Durchschnittsgehalt eines Verbrauchers vorhersagen. Die Agenturen Esri und Claritas behaupten sogar, allein aus dieser Information das Bildungsniveau, die Lebensweise, Familienzusammensetzung und das Konsumverhalten einer Person ableiten zu können. Und 2012 hat das Unternehmen Target von sich reden gemacht, als es die Schwangerschaft einer Jugendlichen vorhersagte, noch bevor ihre Eltern informiert waren – nur weil sie bestimmte Körperlotionen, Vitamine und Gegenstände in bestimmten Farben gekauft hatte.

Damit die Algorithmen jedoch angemessen funktionieren, sind immer präzisere Kategorien für die Klassifizierung von Individuen erforderlich. Und genau hier lauert die Gefahr der Diskriminierung. Denn so einfach lässt sich der Mensch eben nicht in Schubladen stecken.

Vorhersage und Diskriminierung

Wie Kate Crawford in einem Interview in Episode 05 betont, sind es die Minderheiten und ohnehin schon diskriminierten Bevölkerungsgruppen, die am meisten von Vorhersagefehlern betroffen sind. Je mehr ein Individuum der „Norm“ oder einer vorgegebenen Kategorie entspricht, desto besser können seine Daten ausgewertet werden. Doch was geschieht, wenn man sich am Rande der Gesellschaft bewegt? Was passiert mit denjenigen, die sich nicht gemäß den Vorhersagen von Amazon, Google oder Facebook verhalten?

Erst kürzlich hat Facebook zahlreiche Benutzer verärgert, als schlagartig entschieden wurde, eine der Nutzungsbedingungen des Unternehmens strikt anzuwenden. Besagte Bedingung schreibt vor, dass ein Benutzer seine wahre Identität verwenden muss. Damit verfolge man das Ziel, so das Unternehmen, für eine sicherere Umgebung zu sorgen, in der Hasstiraden eingegrenzt würden. Das erreichte Ziel war jedoch eher die Entfernung der Konten von Transgendern, Dragqueens, Ureinwohnern und Überlebenden von ehelicher Gewalt – unter dem Vorwand, diese Konten zeigten nicht den richtigen Namen. Eine Verletzung sowohl der Grundrechte als auch des Rechts auf Privatsphäre.

Und wie steht es um die Diskriminierungen und Vorurteile, die durch die Algorithmen noch verstärkt werden? Im Jahr 2014 klingelt die Polizei von Chicago bei dem jungen Robert McDaniels. „Wir haben dich im Auge, Bürschchen“, warnen ihn die Polizisten. Ein vom Illinois Institute of Technology entwickelter Algorithmus hatte den 22-Jährigen auf die Liste der 400 potenziell Kriminellen gesetzt – ausgehend von kompilierten Daten über sein Viertel, die Kreuzungen, an denen kurz zuvor Gewalttaten geschehen waren und das Maß, in dem er sich von Verbrechern fernhielt. Fast schon Science-Fiction … Und was, wenn ein Interpretationsfehler vorläge? Wie könnte man das wieder gut machen?

Testen Sie selbst

Ehrlich gesagt: Es ist schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, in Erfahrung zu bringen, wie unsere Daten kategorisiert werden – und noch schwieriger, der Kategorisierung zu entkommen. Alles hängt vom Unternehmen, dem verwendeten Algorithmus und den gesuchten Informationen ab. Einige Tools vermitteln jedoch einen kleinen Eindruck von der Art und Weise, wie das Internet uns kategorisiert:

  • Mit der Browser-Erweiterung Floodwatch können wir auf einen Blick alle Werbeanzeigen sehen, die über lange Zeiträume hinweg persönlich auf uns zugeschnitten wurden. Dies ist sehr praktisch zum Zurückverfolgen unseres Navigationsverhaltens und um die Auswirkungen auf unsere Kategorisierung zu erkennen!
  • Noch einfacher: Melden Sie sich bei Ihrem Google-Konto an. à Öffnen Sie die Seite mit den Anzeigeparametern à. Entspricht das Profil Ihrer Person? Entscheiden Sie selbst: Ändern oder korrigieren Sie es – oder nehmen Sie die neue Identität an, um sich besser zu verbergen …

Sandra Rodriguez

Big Data in Unternehmen: Ich weiß, wann du kündigen wirst

2,5 Trillionen Byte Daten produzieren wir jeden Tag weltweit. Auch im Job wird Big Data immer wichtiger – manche Firmen rechnen sogar aus, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass wir kündigen. Ein Beitrag von Anne Hemmes (PULS).

Myrna Arias ist Angestellte beim Geldtransfer-Unternehmen Intermex in Kalifornien und hat mit einer Klage weltweit für Aufsehen gesorgt. Sie wollte nicht von ihrem Chef überwacht werden, nicht in ihrer Freizeit. Aber sie und ihre Kollegen sollten eine App namens Xora runterladen. Mit der wurden sie per GPS getrackt, 24 Stunden lang. Ihr Chef gab sogar damit an, dass er jetzt wüsste, wann sie mit dem Auto mal zu schnell gefahren sei. Myrna Arias beschwerte sich, dass damit ihre Privatsphäre verletzt würde. Außerdem sei die 24-Stunden-Überwachung nicht legal. Sie verglich es mit einem Gefangenen, der eine Fußfessel tragen muss.

Aber Arias‘ Chef sagte, dass sie 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche für Kunden erreichbar sein müsse. Auch wenn das nicht ganz legal sei, solle sie das doch akzeptieren, schließlich verdiene sie so gut bei der Firma. Arias wollte das so nicht  stehen lassen. Sie löschte die App von ihrem Diensthandy. Kurz darauf wurde sie gefeuert – dagegen hat sie jetzt geklagt.

Ihre Anwältin Gail A. Glicks sagt:

Das verletzt unser verfassungsmäßiges Recht auf Privatsphäre. Die kalifornische Verfassung schützt unser Recht auf Privatsphäre genauso wie die amerikanische Verfassung. Und die kalifornische Verfassung schützt den Einzelnen vor dieser Verletzung der Privatsphäre – sei es durch Firmen oder die Regierung.

Glicks glaubt, dass die Klage Erfolg haben wird:

Wir glauben, dass dieser Fall dazu führen könnte, dass mehr Gesetze erlassen werden, die Arbeitnehmer vor solchen Eingriffen durch den Chef oder die Firma, die Technologien wie GPS-Tracking einsetzen, schützen.

Unternehmen im Big Data-Rausch

Der Fall aus den USA ist ein krasses Beispiel, aber auch bei uns wird Big Data im Job immer wichtiger. Allein durch die schiere Masse an Daten. Mit immer besseren Tools analysieren Wissenschaftler Datenmengen ganz gezielt – aus Daten der Vergangenheit soll sich so die Zukunft berechnen lassen. Predictive Analytics nennt sich das.

Eine aktuelle Studie vom Digitalverband Bitkom und dem Geschäftskontakte-Netzwerk LinkedIn zeigt, dass jede vierte Firma in Deutschland offen für Big Data ist. Ganz vorne mit dabei sind die Branchen Chemie, Verkehr, die Pharmabranche und Firmen aus der Logistik und dem Finanzbereich. Laut der Studie werten viele Firmen schon jetzt interne Daten wie Name, Adresse, Krankheitstage, Urlaub, Anwesenheit oder Bezahlung aus.

Das klingt erstmal nicht dramatisch, schließlich ist es kein Geheimnis, dass ein Arbeitgeber solche Informationen über seine Mitarbeiter besitzt. Aber Big Data hört nicht bei ein paar Excel-Tabellen mit Standardinfos auf: Viele Firmen hätten gerne auch Daten, die nicht direkt etwas mit dem Job zu tun haben – zum Beispiel Posts oder Profile in sozialen Netzwerken oder Daten aus Jobportalen.

Schnüffeldienst gegen Mitarbeiter

Die Firmen hoffen, aus diesen Datensätzen Schlüsse ziehen zu können, was sie in Zukunft besser machen können – zum Beispiel welche Leute man einstellen sollte, welche Mitarbeiter unzufrieden sind und was man tun kann, um sie zu halten. Tim Pröhm ist im Beirat bei Joberate, einem Big Data Startup aus den USA. Das Startup rechnet in Echtzeit aus, wie wahrscheinlich es ist, dass jemand kündigt. Dafür werden frei verfügbare Daten unter anderem auch aus sozialen Netzwerken genutzt, die Joberate von Dritten kauft.

Tim Pröhm sieht darin kein Problem:

Es geht letztendlich darum, dass Joberate sich anguckt, was man normalerweise in den sozialen Netzwerken macht und dann wird untersucht: Ändert sich das Verhalten? Das muss man sich vorstellen wie einen Pulsmesser beim Joggen, der irgenwann ausschlägt und von der Norm abweicht. Es mag sein, dass jemand auf Twitter bestimmten Karrierekanälen folgt, auf Facebook bestimmte Karriereseiten liket oder auf LinkedIn sein Profil aktualisiert. All das sind Spuren, die man willentlich hinterlässt, die letztendlich ausgewertet werden können.

Das ungeliebte Wörtchen Datenschutz

In Deutschland sei der Datenschutz strenger als in den USA oder England, sagt Pröhm. Und der Fokus von Joberate liege nicht darauf, zu schauen, wer als nächstes kündigt. Es gehe mehr darum, herauszufinden, wer sich für neue Jobs interessiert und wen welche Firma anwerben kann, weil sie gut zusammenpassen – zumindest laut Datensatz.

Ein fahler Beigeschmack bleibt, denn: Mit meinen Daten werde ich berechenbar für andere. Aus Daten, die ich vielleicht unbewusst mal irgendwo hinterlassen habe, werden Entscheidungen über mich getroffen. Ziemlich gruselige Vorstellung. Und dass dazu auch Daten genutzt werden, bei denen ich nicht im Entferntesten daran dachte, damit irgendetwas jobmäßiges über mich preiszugeben, ist gar nicht mehr so unrealistisch. Die Studie von LinkedIn und Bitkom hat rausgefunden, dass viele Firmen bei uns Daten aus sozialen Netzwerken zwar noch nicht so sehr nutzen, aber es gerne würden.

Das glaubt auch Tim Pröhm:

Ich glaube nicht, dass die Firmen sagen, sie wollen es nicht. Ich glaube, es läuft häufig darauf hinaus, dass man es nicht kann. Denn die Jobbezeichnung des Data Scientist gibt es noch nicht allzu lange. Das ist glaube ich das größte Problem, das wir in Deutschland aktuell sehen: Dass es eine Vielzahl an Daten und Informationen gibt in den internen Systemen der Unternehmen, aber niemand hat es bisher geschafft, die zu verknüpfen.

Firmen in Deutschland sind gerade erst dabei, Big Data für sich zu entdecken. Und es wird mehr: Die International Data Corporation hat ausgerechnet, dass das Big Data-Geschäft bis 2017 ordentlich wächst – um etwa ein Drittel pro Jahr.

Den Originalartikel mit zahlreichen Zusatzinfos und Klicktipps finden Sie bei PULS, dem Jugendprogramm des Bayerischen Rundfunks.

Lobbyschlacht in Brüssel: Wie Deutschland die Datenschutzreform der EU schwächt

Derzeit werden von fast allen Internetnutzern unbemerkt Millionen von persönlichen Daten gesammelt. Viele User merken gar nicht, dass es von Ihnen Profile und Verzeichnisse gibt mit zum Teil hochsensiblen Daten. In Europa soll die neue EU-Datenschutzverordnung den Nutzer mehr schützen. Doch ausgerechnet Deutschland scheint sich auf EU-Ebene eher für weniger als für mehr Datenschutz einzusetzen. Das belegen interne Papiere, die report München vorliegen.

Wer bin ich – und wer will das wissen?

Big Data ist ein Trend und eine große Chance für Konzerne. Doch wie sieht es eigentlich mit den Chancen für die Nutzer aus? Oder überwiegen hier die Risiken? Ein Kommentar von Florian Blaschke vom t3n Magazin.

Wer bin ich – und wenn ja wie viele? Mit dieser philosophischen Frage hat Richard David Precht 2007 ordentlich Staub aufgewirbelt. Heute – acht Jahre später – gesellen sich zu Prechts Überlegungen zwei neue Fragen hinzu, vor allem vor dem Hintergrund der technologischen Entwicklung: Wer will eigentlich wissen, wer ich bin? Und vor allem: Wie wollen die das rauskriegen?

Schon im Alltag füllen wir Menschen Dutzende von Rollen aus. Wir sind Partner, Freunde, vielleicht Eltern oder Geschwister, wir sind Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, Freelancer, Kunden, Patienten oder Nachbarn. Und jede dieser Rollen nehmen wir anders wahr, jede Rolle füllen wir anders aus.

Im Netz ist das nicht anders. Auch hier sind wir in verschiedenen Netzwerken und auf verschiedenen Plattformen unterwegs, wir sind Autoren und Kommentatoren, Beobachter, Bewerter, Kunden oder Auftraggeber. Wir geben uns Avatare und Nutzernamen und posten, was in das Licht passt, in dem wir gesehen werden wollen. Wir hinterlassen Spuren. Doch eine Entwicklung verändert noch mal drastisch, was mit unseren digitalen Versionen vom Ich alles passiert: Big Data.

Big Data: Wo laufen die Fäden zusammen und wer fällt aus dem Raster?

Durch die Daten, die wir hinterlassen, beginnen Unternehmen, sich ein ganz eigenes Bild von uns zu machen. Ein Beispiel: Gesundheitsdaten. Was Fitness-Tracker, Ernährungs-Apps oder Programme wie Googles „Fit“ oder „Apple Health“ an Daten sammeln, ergäbe zusammengenommen ein nicht nur hoch spannendes, sondern auch höchst lukratives Paket – nicht zuletzt für die Krankenkassen.

Ein zweites Beispiel: das Thema Shopping. Schon länger testen Konzerne wie Kaiser’s Tengelmann das „Dynamic Pricing“, bei dem Kunden je nach Einkaufskorb individuell auf sie zugeschnittene Preise bekommen. Und das Unternehmen? Bekommt personalisierte Daten. Beispiel drei: People-Analytics – also die Auswertung von Arbeitnehmerdaten für Personalentscheidungen. So sollen Algorithmen heute schon vorhersagen können, welche Mitarbeiter als nächstes kündigen werden, während Startups wie Soma Analytics Mitarbeiter sogar im Schlaf überwachen wollen, um ihr Stresslevel zu analysieren oder Konzerne die Kommunikation ihrer Mitarbeiter auslesen, um herauszufinden, wo die Fäden zusammenlaufen und wer aus dem Raster fällt.

Welchen Stellenwert bekommen bei Big Data noch die Details?

Alle drei Beispiel haben spannende Seiten und Potenzial, die Welt ein Stück besser zu machen. Doch alle drei Beispiele bergen auch Missbrauchspotenzial und Risiken – vor allem, aber nicht nur für den Einzelnen. Das vielleicht größte Problem: die Interpretation der Daten. Welchen Stellenwert bekommen bei Big Data noch die Details? Wie genau lesen Unternehmen noch zwischen den Zeilen, wenn die Datenmengen immer größer werden?

Die zweite große Hürde: die Informationsqualität. Wie steht es beispielsweise bei den vom Arbeitnehmer erhobenen Daten oder den Gesundheitsdaten um die Manipulierbarkeit? Wie um die Vollständigkeit? Weisen die Daten Lücken auf? Und wenn ja: Wie und mit welchen Informationen können diese Lücken gefüllt werden? Habe ich in meinen Apps beispielsweise wirklich alle Gesundheitsdaten erfasst, die relevant sind? Und wie geht mein Arbeitnehmer damit um, dass nicht meine gesamte interne Kommunikation digital abläuft? Wie entscheidet er, welches Gewicht er den Daten beimisst, um über meine Zukunft zu entscheiden? Welche Rolle spielt noch das Bauchgefühl eines Personalers – das ja weiß Gott auch nicht immer richtig liegt?

Nimmt man nur diese drei Probleme – die Interpretationsfrage, die Manipulierbarkeit und mögliche Datenlücken – und hebt den Blick ein wenig, zeigt sich das ganze Dilemma. „Big Data“ heißt nicht umsonst Big Data – meine Daten sind in jedem möglichen Kontext nur ein Bruchteil der Gesamtmenge. Doch wenn schon meine Daten manipulierbar, lückenhaft und vielfältig interpretierbar sind – wie sieht es dann erst mit der Gesamtmenge aus? Wie groß sind die Fehler und Lücken in den Gesundheitsdaten, die Apple bis jetzt schon erhoben hat? Wie sehr kann ein Arbeitgeber sich darauf verlassen, dass die Kommunikation, die er analysiert, auch wirklich solide Rückschlüsse zulässt? Schließlich betreffen die Entscheidung, der er auf Grundlage der Daten fällt, nicht nur mich – sondern auch sein Unternehmen.

Am Anfang wie am Ende der Datenkette steht deshalb nach wie vor: der Mensch. Ob uns das jetzt beruhigt oder uns Angst macht? Das ist eine Frage der Interpretation.

Big Data und Energieverbrauch: Bedrohen die Stromzähler der Zukunft unsere Freiheit?

Bald schon sollen intelligente Stromboxen exakte individuelle Verbraucherprofile erstellen. Das erleichtert zwar die Netzplanung und spart Kosten. Doch macht den Bürger abhängig vom eigenen Profil. Die Probleme beginnen, wenn er plötzlich davon abweicht und sich zum Beispiel verliebt.

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