BND, NSA, Google, Facebook…: Mach dich nackt

Die Geheimdienste sprichwörtlich außer Kontrolle – Google, Facebook & Co als verlängerte Volks-Personenregister. Mit Gesetzen wie der Bestands- und Vorratsdatenspeicherung sind Industrie und Regierung ein gefährliches Public-Private-Partnership eingegegangen, um Kunden und Bürger rund um die Uhr zu überwachen. Noch ist es nicht zu spät, die Hoheit über unsere Daten zurück zu bekommen. Ein Beitrag von Richard Gutjahr.

Haltung zeigen

Als Journalist soll man sich nicht gemein machen mit einer Sache, heisst es, und sei sie auch noch so gut. Was aber, wenn eine Sache so zum Himmel stinkt ist, dass man nicht länger seine Augen davor verschließen kann? Ich bin der Meinung, man sollte Stellung beziehen. Haltung zeigen. Nicht nur als Journalist.

Ein hoher Preis

Datenschutz? Kann man das essen? Ich weiß, dass Datenschutz so unsexy ist, wie nur irgendwas. Talkshows und Zeitungen meiden das Thema wo es nur geht, weil Quoten und Auflagen erfahrungsgemäß jedes Mal ein Desaster sind. Und doch – solltet Ihr nicht schon hier aufgehört haben, zu lesen – bitte ich Euch: bleibt bei mir!

Datenschutz betrifft uns auf Arten, wie wir uns das heute noch gar nicht vozurstellen vermögen. Auch ich habe geglaubt, schon alles gesehen zu haben. Doch wenn man sich die Entwicklungen der letzten Wochen, Monate und Jahre vor Augen führt, habe ich die Sorge, dass wir eines Tages einen bitteren Preis für unsere Lethargie bezahlen werden.

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I love data!

Nicht falsch verstehen: Ich liebe meine Tech-Toys. Ich verlasse nie das Haus ohne iPhone, iPad oder MacBook. Ich habe mir sogar die Apple Watch bestellt, Apple-Sprech: „our most personal device ever“. Ich habe auch nichts gegen Big Data. Auf dieser, meiner eigenen Webseite sind vier Tracker aktiv, damit mein Blog via Google, Facebook & Co besser gefunden wird und damit ich eine Vorstellung habe, wieviele Menschen mein Blog so abrufen.

Worum es mir geht, ist nicht die Datenerhebung an sich. Daten sind nicht böse, sind per se nicht gut oder schlecht. Daten können für fantastische Dinge genutzt werden, ich bin überzeugt: Daten bringen unsere Gesellschaft weiter, man verfolge allein die Projekte, die Open Data City anstößt (Offenlegung: Ich habe gemeinsam mit ODC an Plattformen wie LobbyPlag gearbeitet).

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Die Frage, die wir uns stellen sollten, lautet: Wer soll über unsere gesammelten Daten bestimmen: Konzerne? Staatliche Behörden? Oder nicht doch lieber wir selbst?

Facebook kann dazu dienen, Regime zu stürzen. Facebook kann aber auch dazu benutzt werden, Oppositionelle ausfindig zu machen und zu neutralisieren, bevor diese gefährlich werden können. Dazu muss ein Machthaber gar nicht so weit gehen, politische Unruhestifter ins Gefängnis zu stecken oder umzubringen. In den meisten Fällen genügt es, Systemkritiker von Bildung oder Machtpositionen fernzuhalten. Die DDR war hierfür ein exzellentes Beispiel.

In seiner extremsten Form können Daten über Leben und Tod entscheiden. Metadaten dienen im Drohnenkrieg als Grundlage für die Ermittlung von Raketenzielen. Nicht selten sterben durch fehlerhafte oder falsch interpretierte Daten auch unbeteiligte Zivilisten („Kollateralschäden“). Kriege, die nicht irgendwo im fernen Afghanistan stattfinden, sondern die über den Netzknotenpunkt in Frankfurt sowie Militäreinrichtungen in Deutschland geführt werden.

Deutsche Verteidigungsminister haben einen Sport daraus gemacht, sich bei Truppenbesuchen in Kabul in Heldenpose ablichten zu lassen. Die Wahrheit ist: Unsere Freiheit wird nicht am Hindukusch verteidigt, sondern im Netz. Und manchmal wird sie dort auch begraben.

Als Begründung für die immer tieferen Eingriffe in unsere Grundrechte wird gerne die Terrorbekämpfung bzw. Schwerstkriminalität genannt. Dass die sog. „Antiterrorgesetze“ später in der Praxis überwiegend fürganz andere Zwecke benutzt werden, wird verschwiegen. Eine Kontrolle darüber, wer, wann, wie oft auf unsere Verbindungsdaten zugreift, findet nicht statt.

Unsere Datenprofile können uns aber auch auf ganz andere Art gegen uns verwendet werden. Mit der ReiheDo Not Track ist es dem kanadischen Regisseur Brett Gaylor gelungen, spielerisch zu zeigen, wie Facebook-Profile heute bereits dazu genutzt werden, um unsere Kreditwürdigkeit einzustufen oder Krankenkassentarife zu ermitteln.

 Illuminus

In der neuesten Episode könnt Ihr selbst ausprobieren, wie es um Eure Kreditwürdigkeit steht – Spoiler-Alert: Laut Facebook gehöre ich aufgrund meiner Extrovertiertheit zur höchsten Risikogruppe und würde daher kein Geld von der Bank bekommen. Der zugrundeliegende Algorithmus basiert übrigens auf Forschungsergebnissen aus Stanford. Testet selbst.

In den Medien sonnt sich die Regierung mit dem strengen Datenschutz, den wir in Deutschland haben. Hinter den Kulissen jedoch sorgt gerade der deutsche Innenminister dafür, dass die EU-Datenschutzverordnung in Brüssel  in Brüssel durchlöchert wird wie ein Sieb.

Dass private Konzerne ungestraft geltendes Recht brechen können und unbegrenzt Daten sammeln können, auf die der Staat dann später durch entsprechende Gesetze zugreifen kann, scheint System zu haben. Der laufende NSA-Untersuchungsausschuss macht immer deutlicher, wie die Kotau zwischen IT-Wirtschaft und Behörden funktioniert. So haben wir beispielsweise gelernt, dass Firmen wie die Deutsche Telekom sogar Geld dafür bekommen, dass sie heimlich E-Mails, Textnachrichten und sonstige Internetverbindungen spiegeln und zur Auswertung an den BND nach Bad Aibling weiterleiten.

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Auch die Weitergabe der sog. Bestandsdaten erfolgt völlig automatisiert, ohne dass ein Richter oder sonst jemand überprüft, wer auf unsere E-Mail-, Telefondaten oder Passwörter zugreift. Im Schnitt erfolgt in der Bundesrepublik alle 1,2 Sekunden ein Abruf durch eine von rund 250 Behörden (Quelle: Bundesnetzagentur).

Der Freiburger Historiker Josef Foschepoth erklärt, wie es dazu gekommen ist, dass das Grundrecht des Post- und Telekommunikationsgeheimnisses in der Bundesrepublik ausgehebelt wurde und dass sich Geheimdienste de facto unkontrolliert zu einem Staat im Staate entwickeln konnten.

 Die parlamentarischen Kontrollgremien (die G10-Kommission, die über das Post- und Telekommunikationsgeheimnis wacht, besteht aus gerade mal 4 Mitgliedern) hat gar nicht die Mittel, die Angaben der Geheimdienste zu überprüfen. Vermutlich werden Kanzlerin und ihre Minister über konkrete Rechtsverstöße gar nicht erst informiert. Nur so können sie später gemäß Amtseid, den sie ja abgelegt haben, behaupten, von nichts gewusst zu haben.

Warum geht das Volk nicht auf die Barrikaden? Der ehemalige Verfassungsrichter und Präsident des Bundesverfassungsgericht, Hans-Jürgen Papier, erklärt sich die Lethargie des Volks durch die fehlende unmittelbare Betroffenheit. „Wenn Sie einen Strafzettel bekommen, dann spüren sie das. Die heimliche Überwachung hingegen fällt zunächst gar nicht auf.“ Welche Gefahren des Missbrauchs von der Datensammelei ausgehen, werde daher nicht erkannt.

Daten sind Macht

Wer Daten besitzt, hat Macht gegenüber demjenigen, der sie nicht besitzt. In dem Moment, in dem ich etwas über mein Gegenüber weiß, was ich vielleicht gar nicht wissen sollte, entsteht eine Machtverschiebung zu meinen Gunsten. Noch mächtiger bin ich, wenn mein Gegenüber gar nicht weiß, was ich alles über ihn weiß. Ich habe dann die Macht, mir zu überlegen, ob und wie ich dieses Wissen für mich nutze.

Noch spüren wir keine Auswirkungen. Deutschland ist wirtschaftlich stark, die Regierung stabil, die Pressefreiheit intakt. Doch wer sagt, dass das für immer so bleiben muss. Was würde geschehen, wenn wir eines Tages nicht mehr so gut dastehen? Wenn Arbeitslosigkeit und andere ökonomische Umstände uns eine Regierung beschert, die weniger Skrupel hat, die über Jahre angesammelten Daten gegen das eigene Volk einzusetzen?

Gerade wir Deutsche sollten es besser wissen.

Den Originalartikel finden Sie im Blog von Journalist Richard Gutjahr.

So geht es ganz einfach: Wie lösche ich meinen Facebook-Account?

Alle Jahre wieder verschärft Facebook seine Geschäftsbedingungen. Langsam wird es Ihnen zu bunt? Sie wollen nicht mehr? Wir verraten Ihnen, wie Sie Ihr Facebook-Konto endgültig löschen. 

1. Loggen Sie sich mit Ihrem Passwort ganz normal ein.

facebook-account-loeschen-102~_v-img__16__9__l_-1dc0e8f74459dd04c91a0d45af4972b9069f11352. Über zahlreiche (nicht immer eindeutige) Menü- und Untermenüpunkte gelangen Sie zu der Seite „Mein Konto löschen“. Schneller geht’s, wenn Sie einfach auf diesen Link klicken: https://www.facebook.com/help/delete_account

3. Bestätigen Sie mit der Eingabe Ihres Passwortes und eines Captchas, dass Sie Ihren Facebook-Account endgültig löschen.

facebook-account-loeschen-104~_v-img__16__9__l_-1dc0e8f74459dd04c91a0d45af4972b9069f11354. Als Bestätigung bekommen Sie noch eine Bestätigung per E-Mail von Facebook, dass Sie Ihr Konto jetzt zur „Löschung vorgesehen haben“. Das bedeutet: Wenn Sie sich innerhalb der nächsten zwei Wochen nicht mehr in Ihr Konto einloggen, wird es gelöscht. Wenn Sie sich allerdings nochmal wieder anmelden, dann ist Ihr „Lösch-Antrag“ wirkungslos.

5. Nach zwei Wochen wird Ihr Facebook-Account dann endgültig gelöscht. Welche Daten dann allerdings noch auf den Facebook-Servern liegen (bleiben), weiß natürlich niemand.

Den Originalartikel und Klicktipps zum Thema finden Sie auf den Seiten von Bayern 3 des Bayerischen Rundfunks.

BR

Plattform OpenSNP: Facebook der Gene

Wer klug ist, schützt seine Daten – das trichtern uns Experten ein. Nutzer von OpenSNP sehen das offenbar anders. Auf der Webseite veröffentlichen Menschen Teile ihres genetischen Codes. Ein Beitrag von Frank Seibert für PULS.

Sophie Sonnenschein oder Max Muster – für viele User im Netz ist es schon krass, wenn sie auf Plattformen den Klarnamen, Handynummer oder Wohnort angeben sollen. Gerade nach der Diskussion um Vorratsdatenspeicherung oder den Snowden-Enthüllungen sind wir sensibilisiert, was den Schutz unserer Informationen angeht. Es gibt aber auch Menschen, die das alles offenbar kalt lässt. Sie wollen das allerintimste mit der ganzen Welt teilen: ihr Erbgut. Das Werkzeug für diesen Gen-Stiptease heißt OpenSNP.

Bastian Greshake, 29 Jahre alt und selbst Biologe, hat das Projekt gegründet.

„Es ist eine Plattform, die Leuten erlaubt, ihre Daten der Allgemeinheit zu überschreiben und zu sagen: Hey, hier sind diese Daten, macht damit was ihr wollt.“

Entstanden ist sie vor vier Jahren. Da hat Bastian sein Erbgut checken lassen. Aus reiner Neugier, sagt er.

Die Gene legen nicht nur fest, ob eine Person blaue oder grüne Augen hat – sondern auch, ob die Wahrscheinlichkeit hoch ist, im Alter Parkinson zu bekommen. Bei Bastian war das Ergebnis eher entspannend: „Ich habe kein erhöhtes Alzheimer- und Parkinsonrisko.“ Aber die Daten lassen auch einen Rückschluss zu, der Bastian zu denken gibt: In seiner Familie gibt ein erhöhtes Risiko für Prostatakrebs. Bastians Vater geht daraufhin zu einem Arzt – und tatsächlich, bei ihm wird ein Tumor entdeckt und sofort entfernt.

Ein Social-Network für Gendaten

Für Bastian steht fest: er will seine Gen-Daten nicht für sich behalten. Vielleicht, so denkt er, können sie noch anderen nützlich sein. Oder vielleicht lassen sich irgendwann Zusammenhänge finden, Medikamente oder Vorsorgeuntersuchungen entwickeln. Er forscht im Netz, doch findet nur wenige Menschen, die ihre SNPs veröffentlicht haben. Eine Datenbank gibt es nicht. Deshalb gründet er mit einem Freund selbst eine Plattform – „als Hobby“. Und dann die Überraschung: Innerhalb weniger Wochen präsentieren wirklich einige Menschen ihre Gene über OpenSNP.

NP steht für „Single Nucleotide Polymorphism“ und wird einfach „Snip“ gesprochen. SNPs sind kleine Auszüge aus unserer DNA. OpenSNP soll nicht nur Gene zur Schau stellen, es soll auch eine Plattform sein, auf der Leute ihre Gen-Varianten selbst vergleichen und dann miteinander in Kontakt treten können. Wer hat vielleicht ähnliche Symptome wie ich? Sind da Krankheiten bekannt? Weil der Buchstabensalat auch Informationen über die Familie enthält, hat Bastian die Veröffentlichung vorher mit den Eltern abgesprochen. „Aber die hatten nichts dagegen“, sagt er.

Wer die Menschen sind, die bei OpenSNP ein Profil anlegen, weiß Bastian nicht. Bald will er eine Umfrage machen, um das herauszufinden. Manche User laden ihre Daten unter Pseudonymen hoch, andere mit Klarnamen und Foto. Einige kombinieren die SNPs auch mit körperlichen Eigenschaften, wie der Augenfarbe, Hinweise zur Ernährung oder bestimmten Symptomen. Bis heute haben etwa 1700 Leute ihre Gene veröffentlicht. Damit ist die Datenbank so groß, dass sie auch für Wissenschaftler interessant ist.

Gen-Studien sind mit OpenSNP viel billiger

Zum Beispiel für Ulrich Genick von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Er möchte OpenSNP jetzt für eine Studie benutzen. Er will herausfinden, welche Gene Einfluss auf Geruch und Geschmack haben. Ein Beispiel: Wenn man Spargel isst, produziert der Körper einen Stoff im Urin. Den können aber nicht alle Menschen riechen. „Es gibt eine ganze Reihe von Substanzen von denen bekannt ist, dass sie unterschiedlich wahrgenommen werden. Aber es ist nicht bekannt, welche genetische Variation diese Unterschiede hervorruft.“

Studien mit Gendaten sind normalerweise extrem teuer, der Aufwand ist riesig. Da müssen tausende Probanden gefunden werden, deren Gene erst einmal analysiert werden müssen. Eine Studie, wie Genick sie vorhat, kostet deshalb eigentlich um die zwei Millionen Euro. Anders mit OpenSNP. Weil es die Daten schon gibt – und nur Fragebögen an die User verschickt werden müssen – kostet die Studie wohl nur 10.000 bis 20.000 Euro.

Die Sache mit der Datensicherheit

Obwohl sich mit der Genanalyse Krankheiten erkennen lassen, würde auch OpenSNP-Gründer Bastian nicht jedem empfehlen, seine DNA überprüfen zu lassen. Man müsse mit dem Ergebnis klar kommen, sagt er. Außerdem gibt es zwar ein paar Krankheiten, bei denen man mit Gentests kategorisch ausschließen kann, ob man sie bekommt oder nicht. Normalerweise geht es aber um Wahrscheinlichkeiten. „Man muss einschätzen können, was diese Zahlen wirklich bedeuten.“ Für ihn war der Test eine gute Sache – er nimmt die Vorsorge jetzt viel ernster als vorher.

Bedenken gibt es auch noch von einer anderen Seite: Was, wenn die Krankenkasse die Daten in die Hände bekommt und einen wegen des hohen Krebsrisikos rauswirft? Oder der Arbeitgeber? Auch für den Staat könnten die Daten theoretisch nützlich sein – beispielsweise für die Strafverfolgung. All die möglichen Auswirkungen stehen auch in den Nutzungsbedingungen der Plattform, die sich die User vor der Anmeldung durchlesen müssen. Bastian glaubt, dass die Nutzer die Risiken gut einschätzen können. Gerade durch die Drohkulisse, die die Medien aufgebaut hätten.

OpenSNP-Nutzer sind die Basejumper der Gesundheitsdaten

Wie OpenSNP-Gründer Bastian, glaubt auch Biologe Genick, dass die Leute wissen, was sie da tun. Die Nutzungsbedingungen der Plattform seien ausreichend einschüchternd. Wer da zustimme, der sei sich des Risikos bewusst.

„Man kann ja auch Nackfotos von sich ins Internet stellen. Das ist auch nicht unbedingt empfehlenswert. OpenSNP ist so ein bisschen wie Extremsport – das sind die Basejumper der persönlichen Gesundheitsdaten.

Bevor seine Studie startet, muss die Ethikkommission noch ihr OK geben. Das Problem: Eine vergleichbare Studie gab es bisher nicht. Und deshalb passen die festgelegten Regeln nicht. „Das ist so als würde man ein Elektroauto zur Abgassonderuntersuchung schicken.“Denn eigentlich dürften die meisten Mitglieder der Plattform ihre Daten nicht mal besitzen: Gen-Tests sind in Deutschland streng reguliert und nur erlaubt, wenn es einen medizinischen Grund gibt. Deshalb schicken viele der User ihre Speichelprobe zur Analyse über 9000 Kilometer in die USA.

Genick wünscht sich, dass seine Studie auch dazu führt, dass jetzt diskutiert wird, wie wir in Zukunft mit privaten Gendaten umgehen wollen und sinnvollere Kriterien finden, wie solche Projekte beurteilt werden sollen. Vielleicht wird Bastians kleine Gendatenbank dann bald noch mehr Leuten nutzen, als nur seinem Vater.

Den Originalartikel und zahlreiche Klicktipps zum Thema finden Sie auf den Seiten von PULS, dem Jugendprogramm des Bayerischen Rundfunks.

Facebook: Der Marktplatz der Eitelkeiten

Wir gehen nicht mehr auf die Straße. Facebook ist das Revier unserer Generation. Trotz massiver Datenschutzverletzungen wenden wir uns ihm zu, wie einem sich unserer Liebe verweigernden Vater. Woher kommt diese Macht, die uns erstarren lässt? Sind wir wirklich so jung und frei, wie wir uns gerne sehen wollen? Von Laura Nunziante (wyme).

Steffi M. liegt am Strand. Neben ihr liegt Lenni. Lennis Windel ist voll, das sehen wir auf dem Bild; er hat einen Pickel auf der Stirn. Beide lächeln in die Kamera, sie schließen die Augen vor dem Sonnenlicht. Dieses Bild ist bezeichnend: Wir alle verschließen die unseren vor der Realität.

Denn real ist nur das, was das Netz verstärkt. Der Uniabschluss? Egal. Es sei denn, ich bekomme dafür 87 Likes. Meine Beziehung? Eure Kommentare formen meine Liebe zu dir. Wenn ich Justin Timberlake auf der Straße treffe und kein Selfie mit ihm poste, habe ich ihn dann wirklich getroffen?

Unsere bürgerliche Existenz wäre bedroht, zögen wir uns digital zurück. Dabei ist es unerheblich, ob unsere Rechte mit Füßen getreten werden: Auf meinem Profilbild sehen meine Brüste groß aus. Das ist zumindest die Logik derer, die nichts zu verbergen haben. Schlimmer noch, sie wollen nichts verbergen. Wie aufregend mein Leben, mein Job, mein Sex ist – in der neuen Welt obliegt dies der Währung der Daumen.

Jedes Jahr an meinem Geburtstag, denke ich nach dem Aufwachen darüber nach, was ich dazu posten werde. Geschenke und Karten fotografiere ich akribischer als die Spurensicherung einen Tatort. Ohne Beweise, keine Täter.
Schon lange vor einer Reise denke ich darüber nach, welche Bilder ich hochlade, um den anderen meine Erfahrung näher zu bringen. Mir selbst ist sie längst abhanden gekommen.

Die anderen. Wer ist das eigentlich? Es sind die Jennys und Pauls, die ich einst betrunken auf Putin vollgelabert habe. Es sind die Grundschulleichen, die ich längst vergraben hatte und jetzt reanimiere, um Bestätigung für meine avantgardistische Nichtigkeit abzugreifen. Ich kenne sie nicht mehr, sie kennen mich nicht mehr. Aber wir brauchen uns doch irgendwie. Die Abwesenheit virtueller Bestätigung wäre unser Untergang. Das weiß auch Steffi M., wenn sie ein solch intimes Foto vom schutzlosen Lenni postet, sichtbar für die ganze Welt. Sein hilfloses Grinsen reicht ihr nicht, um sein Dasein zu begreifen. Erst die Bestätigung ihrer Eitelkeit durch das Like der anderen macht ihn echt.

Die Realität findet zunehmend auf einer Plattform statt, die nicht mal halbwegs clever darüber hinwegtäuschen kann, dass ihr unsere Grundrechte scheißegal sind. Schlimmer noch, die Ausbeutung jener war von Anfang die Begründung seiner Wirtschaftlichkeit. Denn User sind keine Menschen. Wir sind Datenfragmente im Strudel der Zeit und als solche Ressource.

Wir kennen die Wahrheit, doch drehen uns schneller weg als einer, der Zeuge einer Straftat wird. Weil das falsche Ich uns wichtiger ist als die Basis, die unser Zusammenleben begründet. Facebook weiß alles, muss alles wissen. Ohne Facebook gäbe es kein Erleben mehr. Alles Unmittelbare haben wir gegen einen hässlichen, blauen Daumen getauscht. Alles ist holde Eitelkeit, vermarktet und verramscht.

Das digitale Netzwerk erzeugt in uns die Illusion einen individuellen Charakter zu haben, der jedoch von ihr alleine bestimmt wird. Wir vergleichen uns mit Fremden, die uns täglich im Newsfeed begegnen. Aus dem menschlichen Wunsch heraus, dazuzugehören, sind wir bereit unseren Datenschutz und damit unsere Grundrechte bei jedem Login aufs Neue zu verwetten. Und das weiß Facebook nur zu gut.

Und was bleibt? Die Auflehnung? Es wäre der Tod der längst Gehängten.

wymeDieser Beitrag wurde von der wyme-Autorin Laura Nunziante für Do Not Track verfasst. 

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